L. F. Ich schreibe hier sehr schwer; ich bin daher ausser Stande alles zu sagen was ich sagen wollte. Vielen Dank für Ihren überaus freundlichen Besuch, [für] Ihre liebenswürdige Karte u. Ihren ausführlichen Brief. Alles auch im Namen meiner Frau. Ich fühle mich durch Ihren Besuch, dessen Opfer ich zu schätzen weiss, wieder ermutigt, gehoben u. angespornt. Ich bin wissenschaftlich ganz isoliert. Die hohen Herren in Berlin, Leipzig, [G]öttingen kümmern sich nicht um mich, auch die in Wien blos, wenn Sie mich als Folie oder zu andern Zwecken brauchen. Allerdings hängt sich ungeheuer viel Mittelmässigkeit an mich an u. vielleicht sollte icfh noch mehr Leute abschütteln als ich von mir weise. Man hat Stunden der Täuschung, der Schwäche, der Verblendung, de[r K]ritiklosigkeit u. Niemanden als Berater zur Hand. Sie sind meine einzige Stütze u. derjenige, der mir d. Wahrheit sagt, auf dessen Urteil ich auch alles gebe. Freilch meine sog. „Gespräche“ hätte ich auch mündlich gegen Sie in Schutz genommen, durch das Urteil der Philologen wie Gomperz gestützt, der sie [f]ür einen neuen gelungenen Versuch einer Quellensamml. hält, weit über Biedermanns Samml. hinaus. Vielleicht haben Sie doch das viele Neue nicht bemerkt, dach ! auch in d. Einl. u. in d. Anm. steckt. Auch ist es wohl ein Buch, das man erst dann schätzen lernt, [we]nn man es braucht. Die grossen 4 Sammlungen der Gespräche gehen überdies erst in die späteren Bände ein und der Registerband wird das Ganze erst brauchbar machen. Ich verlange solche Quellenwerke für alle grossen Dichter; für Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Schiller Kleist, Hebbel ist sie auch mög[li]ch; für Goethe leider nicht. Allerdings scheide ich nichts aus von dem, was ich kenne; aber ich unterscheide doch zwischen wertvollem u. geringerem indem ich vieles blos in den Anm. erwähne. Man weiss überdies nie, in welchem Zusammenhang eine scheinbar wertlose Notiz Wert gewinnen kann. Also das Prinzip verteidige ich. Meine Durchführung lässt natürlich viel zu wünschen übrig. Ich möchte eine zweite Auflage erleben.
Über Zingerle wusste ich von all dem was Sie mir sagten nichts. Ich hatte nach Kelles Abgang über ihn an Schönbach geschrieben in der Voraussetzg, dass er ihm die Hange halten werde und war über die abfällige Kritik sehr erstaunt, verstehe sie aber jetzt [be]sser.
Über das Euph.-Heft denke ich ungefähr wie Sie; nur Baldenssperger ist nicht übel. Man darf an diesen Schillerband nicht denselben Massstab anlegen wie an andre Bände. Seinen Zweck erfüllt er doch. Über Petsch hatte ich eine sehr schlechte Meinung auf Grund einer elenden Schulausg. von Herodes & Mariamne die ich zufällig gelesen hatte. Nicht blos strotzte sie von sinnlosen Druckfehlern, sondern auch die Einl. war fast sinnlos. Dann las ich Besseres von ihm. Dann trug er mir Rezensionen an u. da ich so grossen Mangel an [b]rauchbaren Rezensenten habe, hat er sich durch seine überlangen Kritiken im Euph. ziemlich breit gemacht. Ich halte ihn für einen sehr begabten Menschen, der vielleicht in seiner Vielschreiberei verflachen wird.
Auch ich hatte noch sehr vi[el]es auf dem Herzen, wozu die Zeit leider nicht reichte u. vieles fiel mir erst später ein. Eigentlich möchte ich jetzt erst recht nach Graz reisen, aber es geht jetzt nicht mehr. Am meisten ärgert mich, dass ich vergass, über Wukad[in]ovicz mit Ihnen zu sprechen. Dazu reicht hier meine Schreibkraft nicht aus.
Als Sie uns verlassen hatten, vertrieben uns 2 Blitzschläge aus dem Schiff. Als wir triefend im Gasthof ankamen, [war] das Wetter fast vorüber, aber auch das Schiff fort. Wir blieben also bis 1/2 6 in See, kamen dann über Scharfling mit der Bahn gut & trocken nach Hause u. bewahren an den Ausflug eine ungetrübt freudige Erinnerung.
Empfehlen Sie mich Ihrer [v]erehrten Gemahlin aufs Beste, ebenso meine Frau u. bleiben Sie uns dauernd freundlich gesinnt.
In herzlicher Freundschaft Ihr
AS.

L. F. Ich schreibe hier sehr schwer; ich bin daher ausser Stande alles zu sagen was ich sagen wollte. Vielen Dank für Ihren überaus freundlichen Besuch, [für] Ihre liebenswürdige Karte u. Ihren ausführlichen Brief. Alles auch im Namen meiner Frau. Ich fühle mich durch Ihren Besuch, dessen Opfer ich zu schätzen weiss, wieder ermutigt, gehoben u. angespornt. Ich bin wissenschaftlich ganz isoliert. Die hohen Herren in Berlin, Leipzig, [G]öttingen kümmern sich nicht um mich, auch die in Wien blos, wenn Sie mich als Folie oder zu andern Zwecken brauchen. Allerdings hängt sich ungeheuer viel Mittelmässigkeit an mich an u. vielleicht sollte icfh noch mehr Leute abschütteln als ich von mir weise. Man hat Stunden der Täuschung, der Schwäche, der Verblendung, de[r K]ritiklosigkeit u. Niemanden als Berater zur Hand. Sie sind meine einzige Stütze u. derjenige, der mir d. Wahrheit sagt, auf dessen Urteil ich auch alles gebe. Freilch meine sog. „Gespräche“ hätte ich auch mündlich gegen Sie in Schutz genommen, durch das Urteil der Philologen wie Gomperz gestützt, der sie [f]ür einen neuen gelungenen Versuch einer Quellensamml. hält, weit über Biedermanns Samml. hinaus. Vielleicht haben Sie doch das viele Neue nicht bemerkt, dach ! auch in d. Einl. u. in d. Anm. steckt. Auch ist es wohl ein Buch, das man erst dann schätzen lernt, [we]nn man es braucht. Die grossen 4 Sammlungen der Gespräche gehen überdies erst in die späteren Bände ein und der Registerband wird das Ganze erst brauchbar machen. Ich verlange solche Quellenwerke für alle grossen Dichter; für Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Schiller Kleist, Hebbel ist sie auch mög[li]ch; für Goethe leider nicht. Allerdings scheide ich nichts aus von dem, was ich kenne; aber ich unterscheide doch zwischen wertvollem u. geringerem indem ich vieles blos in den Anm. erwähne. Man weiss überdies nie, in welchem Zusammenhang eine scheinbar wertlose Notiz Wert gewinnen kann. Also das Prinzip verteidige ich. Meine Durchführung lässt natürlich viel zu wünschen übrig. Ich möchte eine zweite Auflage erleben.
Über Zingerle wusste ich von all dem was Sie mir sagten nichts. Ich hatte nach Kelles Abgang über ihn an Schönbach geschrieben in der Voraussetzg, dass er ihm die Hange halten werde und war über die abfällige Kritik sehr erstaunt, verstehe sie aber jetzt [be]sser.
Über das Euph.-Heft denke ich ungefähr wie Sie; nur Baldenssperger ist nicht übel. Man darf an diesen Schillerband nicht denselben Massstab anlegen wie an andre Bände. Seinen Zweck erfüllt er doch. Über Petsch hatte ich eine sehr schlechte Meinung auf Grund einer elenden Schulausg. von Herodes & Mariamne die ich zufällig gelesen hatte. Nicht blos strotzte sie von sinnlosen Druckfehlern, sondern auch die Einl. war fast sinnlos. Dann las ich Besseres von ihm. Dann trug er mir Rezensionen an u. da ich so grossen Mangel an [b]rauchbaren Rezensenten habe, hat er sich durch seine überlangen Kritiken im Euph. ziemlich breit gemacht. Ich halte ihn für einen sehr begabten Menschen, der vielleicht in seiner Vielschreiberei verflachen wird.
Auch ich hatte noch sehr vi[el]es auf dem Herzen, wozu die Zeit leider nicht reichte u. vieles fiel mir erst später ein. Eigentlich möchte ich jetzt erst recht nach Graz reisen, aber es geht jetzt nicht mehr. Am meisten ärgert mich, dass ich vergass, über Wukad[in]ovicz mit Ihnen zu sprechen. Dazu reicht hier meine Schreibkraft nicht aus.
Als Sie uns verlassen hatten, vertrieben uns 2 Blitzschläge aus dem Schiff. Als wir triefend im Gasthof ankamen, [war] das Wetter fast vorüber, aber auch das Schiff fort. Wir blieben also bis 1/2 6 in See, kamen dann über Scharfling mit der Bahn gut & trocken nach Hause u. bewahren an den Ausflug eine ungetrübt freudige Erinnerung.
Empfehlen Sie mich Ihrer [v]erehrten Gemahlin aufs Beste, ebenso meine Frau u. bleiben Sie uns dauernd freundlich gesinnt.
In herzlicher Freundschaft Ihr
AS.

Vielen Dank für Ihren überaus freundlichen Besuch, [für] Ihre liebenswürdige Karte u. Ihren ausführlichen Brief. Alles auch im Namen meiner Frau. Ich fühle mich durch Ihren Besuch, dessen Opfer ich zu schätzen weiss, wieder ermutigt, gehoben u. angespornt.

Sauer freute sich über einen der Besuche Seufferts. Im Lauf ihrer 45-jährigen Freundschaft kam es mehrmals zu wechseitigen Treffen.

Briefdaten

Schreibort: Mondsee, Oberösterreich
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-497
Umfang:

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9158 [Druckausgabe Nr. 228]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9158/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.