Graz Harrachg. 1
7 VI 02

Lieber freund, Herzlichen dank für den inhaltreichen brief. Es ist mir leid, dass er neben erfreulichem so viel verdriessliches und trübes enthält. Vor allem wünsch ich Ihrer frau gemahlin gute erholung; da auch ich mit der meinigen schon viel sorge gehabt habe, weiss ich Ihre lage zu würdigen. Über die ferien haben wir noch keinen entschluss gefasst; durch die kinder ist man viel weniger bewegungsfrei, auch in pecuniärer beziehung. Und doch möcht ich mir keine reise ohne sie denken.

Warum Sie mir für Stifter danken, weiss ich nicht. Ich habe frl. ????? nur aufgefordert u. Ihre adresse gegeben; ob sie etwas getan hat, weiss ich nicht. Sollte sie zum kauf angetragen haben, so bitt ich zu tun, was Sie können: die zwei hier an der universität studierenden schwestern verdienen sich durch unterricht mühsam den unterhalt u. sollen oft vor dem hungern stehen; als verwandte Stifters kann vielleicht Ihre gesellschaft ihnen ein übriges bei der bezahlung der mscpte tun, gewissermassen als ehrenunterstützung. Die ältere, stud. math., hat die matura des gymn. u. ist sehr tüchtig wie ich höre u. meine; die jüngere scheint mir mehr hübsch u. allgemein mit talentchen verschiedner art ausgestattet als zur wissenschaft tauglich; aber vielleicht gibt es sich. Familienverhältnisse sehr traurig.
Dass Sie in Weimar für Ihre arbeit geneigtes ohr fanden, ist gut für die sache u. erfreulich für Sie. Schlimm genug, dass man sich beinahe über das verständnis dafür in jenem kreise wundern möchte. Sie haben ja leider recht, dass ich für eine aufgabe wie die von Ihnen gestellte, etwas stumpf bin; ich würde mich auch für Goethe und Franken nicht erwärmen können, auch wenn die bzng über Dalberg und Steinwein hinausginge. Aber ich freu mich auf Ihre einleitung, weil ich darin ein gesamtbild von Österr.s stellung zu Goethe erhalte. Und ich werde mir gewiss mühe geben, meine sinne für all die von Ihnen zusammengeleiteten quellen zu schärfen. Komm ich doch gerade jetzt selbst zu einem bezüglein Goethes zu Böhmen! In einem wunderlichen artikelchen Kunst u. altert. stehen ein paar dinge, die mich zu auffällig an die Novelle erinnern, um unbeachtet zu bleiben. Und jener artikel nennt den Schlossberg in Teplitz als schauplatz! Nun hat man ja für die Novelle 3 burgen als muster genannt, keines zwingend; u. auch der Schlossberg bei T. passt wegen des flusses nicht genau. Aber im allgemeinen widerspricht nichts u. die fürsten mögen sehr wol die Clary v. Aldingen sein, bes. der mit einer Tochter des fürsten von Ligne vermählte Joh. Nepom. Wissen Sie über beziehungen Goethes zu diesem herrn Clary? Ich habe mir von einem ????? schüler, dessen zweite heimat Tepl. ist, schon raten lassen; er sagt: nicht zwingend dafür, nichts bestimmt dagegen ausser fluss u. eisen. Hallwichs geschichte von T. kenne ich; die Beschreibung von ?????1798 auch; ferner Reinhardt, Ein sommer in T. 1857 und Reise von ????? nach T. 1802. Schmerzlich vermisse ich das Literarische Wanderbuch worin Karpeles Berl. 1898 auch über G.s beziehungen zu T. gesprochen haben soll; die Prager univers.bibl. besitzt das buch nicht. Anderes werde ich nur noch von da bestellen. Können Sie mir sagen, wo ich titel über eine Tepl.-beschreibung mit bildern u. karten aus Goethes zeit finde? Ihre univ. bibliothek hat doch wol keinen realkatalog. 1793 war brand in T. (wie in Novelle), 1797 war Karl Augst da u. lernte gewiss den Clary kennen u. mag Goethe erzählt haben, worauf epos Die jagd entworfen wurde; G., wol erst* von 1810 an selbst in T., holte dann farbe für
Novelle mit eigenen augen. So stelle ich mirs jetzt vor. Aber es kann alles irrtum sein. Gelingt etwas, so kann es vielleicht Ihre deutsch-böhm. zs. brauchen. –
Ihr bericht über Weimar hat mich sehr interessiert. Hermann hätte Sie verschonen können mit der vergilbten rache.
Fromme ist ein scheusal.** Mich würde auch das arbeiten mit ihm verdriessen. Niemand versteht überhaupt Ihren verdruss übers redigieren besser als ich. Auf keinen mitarbeiter ist verlass und philologisch edieren können fast keine. Aber trotzdem: werfen Sie die sachen nicht von sich wie ich getan habe (mit ausnahme der G.-ausg., die mich nun wieder sehr belästigt; Hecker ist peinlich, aber schrecklich breit und dazu unbehilflich im ausdruck). Sie dürfens nicht, weil es niemand besser machen kann als Sie und weil es nötig ist für die sache. Wollen Sie uns ans Berliner Archiv u. an Koch ausliefern? Sagen Sie nicht, ich hätte das auch getan; so stand es nicht; ich wünschte beim 5. bd. redacteurwechsel; darauf erst hat Böhlau erklärt: dann verlege er nicht weiter; so blieb ich; und er setzte das ende wegen seines verlagverkaufes, wobei er sich allerdings darauf berufen durfte, dass ich ja auch unlustig sei. Und von den DLD wusste ich ja, dass sie in bessere hände kommen würden. (Dank für das Geigerstück; er bleibt ein schlamper.) Also harren Sie aus; es gewährt Ihnen doch auch freude u. ehre. Stiefel betr.: ich habe den herrn einmal gezwickt; er hat jämmerlich geschrien und sämmtl. weiteren referenten stellten sich auf seine seite gegen mich. Also gilt er etwas und schändet den Euph. nicht, auch wenn wir zwei nichts auf den mechanischen sammelapparat – mehr ist er nicht – halten.
Stifter betr.: kennen Sie eine umfangreiche ausgabe, die durchaus gut ist? Sie halten doch den Goedekeschen Schiller nicht dafür und die Weim. Goetheausg. noch weniger. Sorgen Sie höchstens dafür, dass irgendwo gesagt wird: herr W. trieb zu u. bedung sich selbstbearbeitung an. Dann ist alles in ordnung.
Von mir weiss ich nichts zu schreiben. Wie arm ist meine tätigkeit gegen die Ihre! freilich, mein gymnasialbub kostet mich zeit. So ist auch für den Euph. nicht gefördert, was ich versprach. Geduld! Sie haben ja anderes mehr als genug.
Mit den herzlichsten grüssen u. wünschen
Ihr treuer
BSfft

* Ich meine nur, es gebe ein schriftchen über G. es. Tepl., finde aber den titel nicht; die Tagebb. u. Briefe durchzusehen nahm ich noch nicht die zeit.

** Ich habe, ohne Sie zu bemühen, ihn gepresst, mir die volle zahl SA zu senden, er sandte zuerst weniger; auf das einfordern hin, kam der rest sofort (anfang dieser woche); wozu hält der mann die SA bei sich zurück? sie sind ihm doch makulatur.

Graz Harrachg. 1
7 VI 02

Lieber freund, Herzlichen dank für den inhaltreichen brief. Es ist mir leid, dass er neben erfreulichem so viel verdriessliches und trübes enthält. Vor allem wünsch ich Ihrer frau gemahlin gute erholung; da auch ich mit der meinigen schon viel sorge gehabt habe, weiss ich Ihre lage zu würdigen. Über die ferien haben wir noch keinen entschluss gefasst; durch die kinder ist man viel weniger bewegungsfrei, auch in pecuniärer beziehung. Und doch möcht ich mir keine reise ohne sie denken.

Warum Sie mir für Stifter danken, weiss ich nicht. Ich habe frl. ????? nur aufgefordert u. Ihre adresse gegeben; ob sie etwas getan hat, weiss ich nicht. Sollte sie zum kauf angetragen haben, so bitt ich zu tun, was Sie können: die zwei hier an der universität studierenden schwestern verdienen sich durch unterricht mühsam den unterhalt u. sollen oft vor dem hungern stehen; als verwandte Stifters kann vielleicht Ihre gesellschaft ihnen ein übriges bei der bezahlung der mscpte tun, gewissermassen als ehrenunterstützung. Die ältere, stud. math., hat die matura des gymn. u. ist sehr tüchtig wie ich höre u. meine; die jüngere scheint mir mehr hübsch u. allgemein mit talentchen verschiedner art ausgestattet als zur wissenschaft tauglich; aber vielleicht gibt es sich. Familienverhältnisse sehr traurig.
Dass Sie in Weimar für Ihre arbeit geneigtes ohr fanden, ist gut für die sache u. erfreulich für Sie. Schlimm genug, dass man sich beinahe über das verständnis dafür in jenem kreise wundern möchte. Sie haben ja leider recht, dass ich für eine aufgabe wie die von Ihnen gestellte, etwas stumpf bin; ich würde mich auch für Goethe und Franken nicht erwärmen können, auch wenn die bzng über Dalberg und Steinwein hinausginge. Aber ich freu mich auf Ihre einleitung, weil ich darin ein gesamtbild von Österr.s stellung zu Goethe erhalte. Und ich werde mir gewiss mühe geben, meine sinne für all die von Ihnen zusammengeleiteten quellen zu schärfen. Komm ich doch gerade jetzt selbst zu einem bezüglein Goethes zu Böhmen! In einem wunderlichen artikelchen Kunst u. altert. stehen ein paar dinge, die mich zu auffällig an die Novelle erinnern, um unbeachtet zu bleiben. Und jener artikel nennt den Schlossberg in Teplitz als schauplatz! Nun hat man ja für die Novelle 3 burgen als muster genannt, keines zwingend; u. auch der Schlossberg bei T. passt wegen des flusses nicht genau. Aber im allgemeinen widerspricht nichts u. die fürsten mögen sehr wol die Clary v. Aldingen sein, bes. der mit einer Tochter des fürsten von Ligne vermählte Joh. Nepom. Wissen Sie über beziehungen Goethes zu diesem herrn Clary? Ich habe mir von einem ????? schüler, dessen zweite heimat Tepl. ist, schon raten lassen; er sagt: nicht zwingend dafür, nichts bestimmt dagegen ausser fluss u. eisen. Hallwichs geschichte von T. kenne ich; die Beschreibung von ?????1798 auch; ferner Reinhardt, Ein sommer in T. 1857 und Reise von ????? nach T. 1802. Schmerzlich vermisse ich das Literarische Wanderbuch worin Karpeles Berl. 1898 auch über G.s beziehungen zu T. gesprochen haben soll; die Prager univers.bibl. besitzt das buch nicht. Anderes werde ich nur noch von da bestellen. Können Sie mir sagen, wo ich titel über eine Tepl.-beschreibung mit bildern u. karten aus Goethes zeit finde? Ihre univ. bibliothek hat doch wol keinen realkatalog. 1793 war brand in T. (wie in Novelle), 1797 war Karl Augst da u. lernte gewiss den Clary kennen u. mag Goethe erzählt haben, worauf epos Die jagd entworfen wurde; G., wol erst* von 1810 an selbst in T., holte dann farbe für
Novelle mit eigenen augen. So stelle ich mirs jetzt vor. Aber es kann alles irrtum sein. Gelingt etwas, so kann es vielleicht Ihre deutsch-böhm. zs. brauchen. –
Ihr bericht über Weimar hat mich sehr interessiert. Hermann hätte Sie verschonen können mit der vergilbten rache.
Fromme ist ein scheusal.** Mich würde auch das arbeiten mit ihm verdriessen. Niemand versteht überhaupt Ihren verdruss übers redigieren besser als ich. Auf keinen mitarbeiter ist verlass und philologisch edieren können fast keine. Aber trotzdem: werfen Sie die sachen nicht von sich wie ich getan habe (mit ausnahme der G.-ausg., die mich nun wieder sehr belästigt; Hecker ist peinlich, aber schrecklich breit und dazu unbehilflich im ausdruck). Sie dürfens nicht, weil es niemand besser machen kann als Sie und weil es nötig ist für die sache. Wollen Sie uns ans Berliner Archiv u. an Koch ausliefern? Sagen Sie nicht, ich hätte das auch getan; so stand es nicht; ich wünschte beim 5. bd. redacteurwechsel; darauf erst hat Böhlau erklärt: dann verlege er nicht weiter; so blieb ich; und er setzte das ende wegen seines verlagverkaufes, wobei er sich allerdings darauf berufen durfte, dass ich ja auch unlustig sei. Und von den DLD wusste ich ja, dass sie in bessere hände kommen würden. (Dank für das Geigerstück; er bleibt ein schlamper.) Also harren Sie aus; es gewährt Ihnen doch auch freude u. ehre. Stiefel betr.: ich habe den herrn einmal gezwickt; er hat jämmerlich geschrien und sämmtl. weiteren referenten stellten sich auf seine seite gegen mich. Also gilt er etwas und schändet den Euph. nicht, auch wenn wir zwei nichts auf den mechanischen sammelapparat – mehr ist er nicht – halten.
Stifter betr.: kennen Sie eine umfangreiche ausgabe, die durchaus gut ist? Sie halten doch den Goedekeschen Schiller nicht dafür und die Weim. Goetheausg. noch weniger. Sorgen Sie höchstens dafür, dass irgendwo gesagt wird: herr W. trieb zu u. bedung sich selbstbearbeitung an. Dann ist alles in ordnung.
Von mir weiss ich nichts zu schreiben. Wie arm ist meine tätigkeit gegen die Ihre! freilich, mein gymnasialbub kostet mich zeit. So ist auch für den Euph. nicht gefördert, was ich versprach. Geduld! Sie haben ja anderes mehr als genug.
Mit den herzlichsten grüssen u. wünschen
Ihr treuer
BSfft

* Ich meine nur, es gebe ein schriftchen über G. es. Tepl., finde aber den titel nicht; die Tagebb. u. Briefe durchzusehen nahm ich noch nicht die zeit.

** Ich habe, ohne Sie zu bemühen, ihn gepresst, mir die volle zahl SA zu senden, er sandte zuerst weniger; auf das einfordern hin, kam der rest sofort (anfang dieser woche); wozu hält der mann die SA bei sich zurück? sie sind ihm doch makulatur.

Aber ich freu mich auf Ihre einleitung, weil ich darin ein gesamtbild von Österr.s stellung zu Goethe erhalte. Und ich werde mir gewiss mühe geben, meine sinne für all die von Ihnen zusammengeleiteten quellen zu schärfen. Komm ich doch gerade jetzt selbst zu einem bezüglein Goethes zu Böhmen! In einem wunderlichen artikelchen Kunst u. altert. stehen ein paar dinge, die mich zu auffällig an die Novelle erinnern, um unbeachtet zu bleiben. Und jener artikel nennt den Schlossberg in Teplitz als schauplatz!

Seuffert fand in Johann Wolfgang von Goethes Prosatext Novelle (1828) Bezüge zum böhmischen Kur- und Badeort Teplitz und setzte sich damit wisssenschaftlich auseinander. Er freute sich, auf Sauers grundlegende umfangreiche Forschungen zu Goethe und Österreich zurückgreifen zu können.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9031 [Druckausgabe Nr. 204]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9031/methods/sdef:TEI/get

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