Faksimile fehlt.

Graz 19 VI 96

Lieber freund, Nun ist es erst recht nötig, dass Sie nach Weimar kommen. Schriftlich lässt sich derlei kaum zu ende reden. Ich hätte Ihnen früher geschrieben, wenn ich mich früher entschlossen hätte; von verstimmung ist keine spur da, ich wüsste auch nicht warum.
Ihre erste nachricht trifft mich nicht ganz unerwartet, weil mich E S. mit dem „kriseln“ beim Euph. schon vertraut machte, nachdem Sie in B. waren. Er tat es kurz, doch in einem zusammenhange, der seine mitteilung als eine bedauernde aufnehmen hiess. Ich schreibe das, weil aus Ihrem briefe etwas wie ärger über Berliner gleichgültigkeit gegen den Euph. spricht.
Ich wünsche herzlich, dass die verlagsänderung alle schwierigkeiten hebt, die Sie mit Koch hatten. Sie kennen Frommes lage, ich nicht; ich kann also nur Ihrer auffassung nachtreten. Die geplanten änderungen scheinen mir nützlich; besonders wissen Sie, dass ich stets gegen unbearbeitete briefpublicationen war, und wenn Sie nun noch einen schritt weiter zum verbote der unverarbeiteten gehen, so kann das nur die wissenschaft fördern und aus der materialwüste, die übrigens in der VJS grösser war als im Euph., hinaus führen. Dass Ihre bibliogr. in zukunft nicht neuauflagen gibt, und nicht übersetzungen halte ich für berechtigt; für die billigen ausgaben möchte ich ein wort einlegen: mancher student u. lehrer erfährt gerne, dass er das u. jenes so wolfeil kaufen kann. Dagegen kann ich die alte meinung nicht unterdrücken, dass für geschichte u dgl. weniger geschehen könnte. Ich finde nach meinem bedürfnis: auch die Jahresberichte tun zu viel. Nun gar Ihre bibliographie, die doch den 1. zweck hat, rasch, rascher als der Jahresber., über das dem litthistor. unmittelbar wichtige zu unterrichten. Ich würde also das meiste aus den Biograph. blättern streichen, was Sie verzeichnen (z. b. Menzel, Gneist, Sybel, Gizycki, Völderndorff, Hohenlohe usf. ), das Jahrb. d. Comeniusgesellschft, überhaupt pädagogisches, weil es die gymnas.-lehrer doch nicht da suchen (ausser unterricht im Dtschen.) und theologisches (S.573); ferner buchhändlerisches, weil man es doch im Centrbl. f. bibl. wesen aufschlägt, die wirtschaftgeschichte, das meiste staatshistorische usf. Sie erkennen meine richtung. Es wird ja da, wo nicht ein unmittelbarer bezug in solchen artikeln auf schönedeutsche litt. gegeben ist in den artikeln selbst, ein material geboten, das man hier nicht sucht und anderwärts haben kann, ja z. tl. doch suchen muss, weil es eben anderwärts vollständiger sein muss. Ich gehöre gewiss nicht zu denen, die die littgesch. u. d. neuere deutsche philol. von anderem abtrennen wollen; im gegenteil, ich suche meine studenten tag für tag zu ausdehnung zu bereden. Aber ich hafte an der meinung, dass in einer litthist. zs. das die grenze bilden sollte, was nicht geradezu mit litt. in zusammenhang gebracht ist (während Sie einbegreifen, was mit ihr in zusammenhang gebracht werden kann oder sollte). Sie überlegen ja doch auch, dass man bei der einrichtung Ihrer bibliogr. nichts einzelnes schnell aufschlagen kann, sondern man muss das ganze lesen; sie ist kein nachschlagewerk, sie soll eine übersicht geben; wer will nun so viele seiten lesen?? Um die unendliche mühe, die Ihnen die bibliogr. macht, recht zu verwerten, müsste man sich ein sach- u. namensrepertorium dazu anfertigen. Wenn ich mir das, was ich brauche, nicht sofort herausnotiere, so muss ich, um es wieder zu finden, zu vieles durchfliegen. Ich weiss, dass ich Ihnen früher riet, die bibliogr. nicht ins register aufzunehmen, weil ich sie als einen mit dem erscheinen der Jahresber. überflüssigen teil erachtete; Sie geben aber mehr; soll das für die benützung lebendig bleiben, so müssten Sie doch wol sie ins register einreihen, eine furchtbare arbeit! Sagen Sie selbst: Sie lasen die bibliogr; ein halb jahr später stossen Sie auf etwas, was Sie damals nicht interessierte, jetzt interessiert; Sie erinnern sich dunkel, dass in der Bibliogr. etwas darüber verzeichnet war; nun müssen Sie weitaus die grössere zahl der seiten durchsuchen. Dazu entschliesst man sich so wenig als im Centrbl. od. in der DLZ alle zss. übersichten nachzulesen. Wird sie kürzer, so kann man die Bibliogr. wider ! durchsuchen. Vielleicht ist auch mit der druckeinrichtung zu helfen. Durch den fettdruck der Zstitel tritt der sperrdruck der namen zurück. Liesse sich nicht jeder titel etwas ausrücken? oder am rande ein zeichen setzen, das den jedesmaligen beginn der neuen zs. deutlich macht? Mein auge ist überhaupt empfindlich gegen zu vielerlei satz. Der ganze Euphor. würde vornehmer – für meinen privatgeschmack – aussehen, wenn er sich auf zwei schriften beschränkte; jetzt ist er gar so bunt und unruhig.
Nehmen Sie die aufrichtigkeit nicht übel, Sie fordern sie ja ausdrücklich von mir.
Schönbach, der bedauert, dass Sie mit dem alten verleger schwierigkeiten bekamen, lässt Sie besonders vor der verbindung mit Nagl warnen; er halte diesen in litterarhistorischen dingen für sehr unbewandert; seine zwecke lägen nicht in der sache, sondern in der förderung seiner persönlichen absichten, u. seine person sei unsicher.
Wenn ich wüsste, dass Sie Nagl genau kennen, so würde ich schweigen. Sie wissen wol, dass der, vielleicht begründete, verdacht besteht, er habe sich hier nur habilitiert, weil er sich vor einer Wiener habil. fürchtete. Ich bereue diese habilit. nicht, denn ein guter dialektforscher ist er zweifellos. Aber für einen litterarhistoriker halte ich ihn nicht. Ob seine person so wenig lauter ist, wie hier nun colportiert (und von Schönb. geglaubt) wird, untersuche ich nicht. Das eine aber muss ich Ihnen sagen, obwol ich auch dies nicht aus 1. quelle, aber doch aus guter, weiss. Er hat sich mit Heinzel, dem er alles verdankt, bös überworfen. Trotz dem länger abgebrochnen verkehr soll er ihn dann angegangen haben, ihn zum prof. vorzuschlagen, was H. ablehnte. Daraufhin entstand der plan der öst. littgesch., sie soll ihm eine stütze für die prof. werden. So sagt man. Sie werden ja besser davon unterrichtet sein. Mich zog er in ein den mund versiegelndes vertrauen, weil er von mir einen bearbeiter des steirischen teils genannt haben wollte. Wie er sich dabei benahm, zeigte mir deutlich, dass ihm alles u. jedes zum redacteur fehlt. Noch wichtiger aber ist, ob bei solcher lage es wahrscheinlich ist, dass das minist. eine Naglsche Zs. unterstützt? und ob dem Euph. dieser anhang nicht ideell und materiell mehr schadet als nützt. Ich weiss mich frei von jeder voreingenommenheit gegen N., von dem ich nur nicht weiss, ob er mehr originell ist oder mehr das original (auch im flegelhaften) spielt; für sehr eitel halt ich ihn wol mit grund. In summa, ich möchte so wenig wie Schönbach mit ihm zusammengespannt erscheinen. Also können Sie’s vielleicht noch so ordnen, dass die verbindung der zss. lediglich verlegersache ist, dass sie gar keinen einfluss auf die N.sche zs. nehmen, auch kein vetorecht. Marschieren Sie getrennt. Dies alles selbstverständlich im tiefsten vertrauen: ich mag kein geklatsche machen. Ja, vernichten Sie dies briefblatt, bitt ich. Ich halte mich nur zu sehr für Ihren freund, um meine sorgen nicht zu verschweigen, auch wenn sie vielleicht mehr auf empfindungs- als erfahrungstatsachen ruhen.

Die neue aufl. des P. schen grundrisses sahen wir noch nicht. Schönbach und ich sind natürlich Ihrer ansicht, dass seine frühen, u. gewiss auch die jüngste, darstellung der geschichte der philol. parteiisch ungerecht und die der litthistorie verständnislos ist. Schönbach ist mehr als ich der meinung, dass ein grdriss f. neuere litt. eine lücke ausfüllte. Ich leugne das übrigens nicht. Nur hab ich gar keine wärme dafür. Nehmen Sie mir das nicht übel. Ich bin so stumpf gegen neue unternehmungen geworden, dass, wie Sie wissen, ich mich aus Goedeke zurückgezogen und die wiederholt verlangte verbindung mit dem Jahresber. nicht eingegangen habe. Mich schreckt alle terminarbeit. Ich habe so lange die last der DLD getragen – sie war mir jahre hindurch eine angenehme, aber immer eine schwere –, habe 6 jahre an die VJS. gehängt, habe über jahr und tag an die Goetheausgabe gewendet und bin da noch stark in schulden, dass ich nirgends mehr zugreifen mag. Mich sehnt es, nur Wieland zu leben, damit ich das buch erlebe. Freilich steckt daneben noch anderes im sinn, vielleicht sogar ein poetiklein, was aber wider nur Sie hören und was noch in weitem felde steht. Wie soll ich nun für eine sache agitieren, an der ich mich zu beteiligen von vornherein für unmöglich halte? Sag ich Schmidt Ihren plan und stimmt er zu, so ist seine erste frage – schon aus anstand – was übernimmst Du? – Und wer soll redigieren? er tut es gewiss nicht. Wollen Sie?
Und noch eines, das wichtigste. Halten Sie die wissenschaftlichen kräfte, die man brauchte, für so zahlreich, als man sie braucht? ich nicht. Ich finde die litthist. im niedergang. Und wo sind denn die treuen Schererianer? Sie, Burdach, ich; E Schmidt schon mit mehr kritischer verneinung als ich laut werden lassen möchte; Burdach mit viel Hildebrandischer zutat. Die Leipziger sind eine geschlossene gruppe. Die Müllenhoff- und Scherer-leute sind zersprengt. Ob es Ihnen gelingt, sie zu sammeln? Ich wünsch’ es. Aber ich glaub‘ es nicht. Freilich denk’ ich über manche gewiss zu gering; z. b. halte ich den ausgezeichneten sammler Bolte nicht für einen forscher. Und doch müsste ein solches unternehmen, das die ehre unserer flagge gründen soll, von lauter forschern geschrieben sein.
Sie sehen, ich bin nicht der mann E Schmidt zu erwärmen, wie Sie wünschen. Schreiben Sie ihm, ich verspreche Ihnen, wenn er mit mir in Weimar darüber redet, ihm zuzureden; denn ich möchte selbst gerne, dass meine bedenken töricht und unbegründet sind.
Entschuldigen Sie meine offenherzigkeit, wie Sie sie schon so oft entschuldigen mussten. Ich komme mir neben Ihnen wie ein bleigewicht vor. Sie haben stets initiative, ich nie. Und diese verschiedenheit müssen Sie beim beurteilen meiner meinungen mit in betracht ziehen. Gurlitt sagt mit recht: Du bist ein kritiker. Ich habe etwas negierendes an mir, darüber komme ich nun leider nicht hinaus. Ich suchte Ihren inhaltsschweren brief sogleich zu beantworten, nehmen Sie es als zeichen, wie sehr er mich beschäftigt.
In der hoffnung, Sie doch noch in Weimar zu sehen, grüsst herzlich Ihr ergebener
BSfft.

Faksimile fehlt.

Graz 19 VI 96

Lieber freund, Nun ist es erst recht nötig, dass Sie nach Weimar kommen. Schriftlich lässt sich derlei kaum zu ende reden. Ich hätte Ihnen früher geschrieben, wenn ich mich früher entschlossen hätte; von verstimmung ist keine spur da, ich wüsste auch nicht warum.
Ihre erste nachricht trifft mich nicht ganz unerwartet, weil mich E S. mit dem „kriseln“ beim Euph. schon vertraut machte, nachdem Sie in B. waren. Er tat es kurz, doch in einem zusammenhange, der seine mitteilung als eine bedauernde aufnehmen hiess. Ich schreibe das, weil aus Ihrem briefe etwas wie ärger über Berliner gleichgültigkeit gegen den Euph. spricht.
Ich wünsche herzlich, dass die verlagsänderung alle schwierigkeiten hebt, die Sie mit Koch hatten. Sie kennen Frommes lage, ich nicht; ich kann also nur Ihrer auffassung nachtreten. Die geplanten änderungen scheinen mir nützlich; besonders wissen Sie, dass ich stets gegen unbearbeitete briefpublicationen war, und wenn Sie nun noch einen schritt weiter zum verbote der unverarbeiteten gehen, so kann das nur die wissenschaft fördern und aus der materialwüste, die übrigens in der VJS grösser war als im Euph., hinaus führen. Dass Ihre bibliogr. in zukunft nicht neuauflagen gibt, und nicht übersetzungen halte ich für berechtigt; für die billigen ausgaben möchte ich ein wort einlegen: mancher student u. lehrer erfährt gerne, dass er das u. jenes so wolfeil kaufen kann. Dagegen kann ich die alte meinung nicht unterdrücken, dass für geschichte u dgl. weniger geschehen könnte. Ich finde nach meinem bedürfnis: auch die Jahresberichte tun zu viel. Nun gar Ihre bibliographie, die doch den 1. zweck hat, rasch, rascher als der Jahresber., über das dem litthistor. unmittelbar wichtige zu unterrichten. Ich würde also das meiste aus den Biograph. blättern streichen, was Sie verzeichnen (z. b. Menzel, Gneist, Sybel, Gizycki, Völderndorff, Hohenlohe usf. ), das Jahrb. d. Comeniusgesellschft, überhaupt pädagogisches, weil es die gymnas.-lehrer doch nicht da suchen (ausser unterricht im Dtschen.) und theologisches (S.573); ferner buchhändlerisches, weil man es doch im Centrbl. f. bibl. wesen aufschlägt, die wirtschaftgeschichte, das meiste staatshistorische usf. Sie erkennen meine richtung. Es wird ja da, wo nicht ein unmittelbarer bezug in solchen artikeln auf schönedeutsche litt. gegeben ist in den artikeln selbst, ein material geboten, das man hier nicht sucht und anderwärts haben kann, ja z. tl. doch suchen muss, weil es eben anderwärts vollständiger sein muss. Ich gehöre gewiss nicht zu denen, die die littgesch. u. d. neuere deutsche philol. von anderem abtrennen wollen; im gegenteil, ich suche meine studenten tag für tag zu ausdehnung zu bereden. Aber ich hafte an der meinung, dass in einer litthist. zs. das die grenze bilden sollte, was nicht geradezu mit litt. in zusammenhang gebracht ist (während Sie einbegreifen, was mit ihr in zusammenhang gebracht werden kann oder sollte). Sie überlegen ja doch auch, dass man bei der einrichtung Ihrer bibliogr. nichts einzelnes schnell aufschlagen kann, sondern man muss das ganze lesen; sie ist kein nachschlagewerk, sie soll eine übersicht geben; wer will nun so viele seiten lesen?? Um die unendliche mühe, die Ihnen die bibliogr. macht, recht zu verwerten, müsste man sich ein sach- u. namensrepertorium dazu anfertigen. Wenn ich mir das, was ich brauche, nicht sofort herausnotiere, so muss ich, um es wieder zu finden, zu vieles durchfliegen. Ich weiss, dass ich Ihnen früher riet, die bibliogr. nicht ins register aufzunehmen, weil ich sie als einen mit dem erscheinen der Jahresber. überflüssigen teil erachtete; Sie geben aber mehr; soll das für die benützung lebendig bleiben, so müssten Sie doch wol sie ins register einreihen, eine furchtbare arbeit! Sagen Sie selbst: Sie lasen die bibliogr; ein halb jahr später stossen Sie auf etwas, was Sie damals nicht interessierte, jetzt interessiert; Sie erinnern sich dunkel, dass in der Bibliogr. etwas darüber verzeichnet war; nun müssen Sie weitaus die grössere zahl der seiten durchsuchen. Dazu entschliesst man sich so wenig als im Centrbl. od. in der DLZ alle zss. übersichten nachzulesen. Wird sie kürzer, so kann man die Bibliogr. wider ! durchsuchen. Vielleicht ist auch mit der druckeinrichtung zu helfen. Durch den fettdruck der Zstitel tritt der sperrdruck der namen zurück. Liesse sich nicht jeder titel etwas ausrücken? oder am rande ein zeichen setzen, das den jedesmaligen beginn der neuen zs. deutlich macht? Mein auge ist überhaupt empfindlich gegen zu vielerlei satz. Der ganze Euphor. würde vornehmer – für meinen privatgeschmack – aussehen, wenn er sich auf zwei schriften beschränkte; jetzt ist er gar so bunt und unruhig.
Nehmen Sie die aufrichtigkeit nicht übel, Sie fordern sie ja ausdrücklich von mir.
Schönbach, der bedauert, dass Sie mit dem alten verleger schwierigkeiten bekamen, lässt Sie besonders vor der verbindung mit Nagl warnen; er halte diesen in litterarhistorischen dingen für sehr unbewandert; seine zwecke lägen nicht in der sache, sondern in der förderung seiner persönlichen absichten, u. seine person sei unsicher.
Wenn ich wüsste, dass Sie Nagl genau kennen, so würde ich schweigen. Sie wissen wol, dass der, vielleicht begründete, verdacht besteht, er habe sich hier nur habilitiert, weil er sich vor einer Wiener habil. fürchtete. Ich bereue diese habilit. nicht, denn ein guter dialektforscher ist er zweifellos. Aber für einen litterarhistoriker halte ich ihn nicht. Ob seine person so wenig lauter ist, wie hier nun colportiert (und von Schönb. geglaubt) wird, untersuche ich nicht. Das eine aber muss ich Ihnen sagen, obwol ich auch dies nicht aus 1. quelle, aber doch aus guter, weiss. Er hat sich mit Heinzel, dem er alles verdankt, bös überworfen. Trotz dem länger abgebrochnen verkehr soll er ihn dann angegangen haben, ihn zum prof. vorzuschlagen, was H. ablehnte. Daraufhin entstand der plan der öst. littgesch., sie soll ihm eine stütze für die prof. werden. So sagt man. Sie werden ja besser davon unterrichtet sein. Mich zog er in ein den mund versiegelndes vertrauen, weil er von mir einen bearbeiter des steirischen teils genannt haben wollte. Wie er sich dabei benahm, zeigte mir deutlich, dass ihm alles u. jedes zum redacteur fehlt. Noch wichtiger aber ist, ob bei solcher lage es wahrscheinlich ist, dass das minist. eine Naglsche Zs. unterstützt? und ob dem Euph. dieser anhang nicht ideell und materiell mehr schadet als nützt. Ich weiss mich frei von jeder voreingenommenheit gegen N., von dem ich nur nicht weiss, ob er mehr originell ist oder mehr das original (auch im flegelhaften) spielt; für sehr eitel halt ich ihn wol mit grund. In summa, ich möchte so wenig wie Schönbach mit ihm zusammengespannt erscheinen. Also können Sie’s vielleicht noch so ordnen, dass die verbindung der zss. lediglich verlegersache ist, dass sie gar keinen einfluss auf die N.sche zs. nehmen, auch kein vetorecht. Marschieren Sie getrennt. Dies alles selbstverständlich im tiefsten vertrauen: ich mag kein geklatsche machen. Ja, vernichten Sie dies briefblatt, bitt ich. Ich halte mich nur zu sehr für Ihren freund, um meine sorgen nicht zu verschweigen, auch wenn sie vielleicht mehr auf empfindungs- als erfahrungstatsachen ruhen.

Die neue aufl. des P. schen grundrisses sahen wir noch nicht. Schönbach und ich sind natürlich Ihrer ansicht, dass seine frühen, u. gewiss auch die jüngste, darstellung der geschichte der philol. parteiisch ungerecht und die der litthistorie verständnislos ist. Schönbach ist mehr als ich der meinung, dass ein grdriss f. neuere litt. eine lücke ausfüllte. Ich leugne das übrigens nicht. Nur hab ich gar keine wärme dafür. Nehmen Sie mir das nicht übel. Ich bin so stumpf gegen neue unternehmungen geworden, dass, wie Sie wissen, ich mich aus Goedeke zurückgezogen und die wiederholt verlangte verbindung mit dem Jahresber. nicht eingegangen habe. Mich schreckt alle terminarbeit. Ich habe so lange die last der DLD getragen – sie war mir jahre hindurch eine angenehme, aber immer eine schwere –, habe 6 jahre an die VJS. gehängt, habe über jahr und tag an die Goetheausgabe gewendet und bin da noch stark in schulden, dass ich nirgends mehr zugreifen mag. Mich sehnt es, nur Wieland zu leben, damit ich das buch erlebe. Freilich steckt daneben noch anderes im sinn, vielleicht sogar ein poetiklein, was aber wider nur Sie hören und was noch in weitem felde steht. Wie soll ich nun für eine sache agitieren, an der ich mich zu beteiligen von vornherein für unmöglich halte? Sag ich Schmidt Ihren plan und stimmt er zu, so ist seine erste frage – schon aus anstand – was übernimmst Du? – Und wer soll redigieren? er tut es gewiss nicht. Wollen Sie?
Und noch eines, das wichtigste. Halten Sie die wissenschaftlichen kräfte, die man brauchte, für so zahlreich, als man sie braucht? ich nicht. Ich finde die litthist. im niedergang. Und wo sind denn die treuen Schererianer? Sie, Burdach, ich; E Schmidt schon mit mehr kritischer verneinung als ich laut werden lassen möchte; Burdach mit viel Hildebrandischer zutat. Die Leipziger sind eine geschlossene gruppe. Die Müllenhoff- und Scherer-leute sind zersprengt. Ob es Ihnen gelingt, sie zu sammeln? Ich wünsch’ es. Aber ich glaub‘ es nicht. Freilich denk’ ich über manche gewiss zu gering; z. b. halte ich den ausgezeichneten sammler Bolte nicht für einen forscher. Und doch müsste ein solches unternehmen, das die ehre unserer flagge gründen soll, von lauter forschern geschrieben sein.
Sie sehen, ich bin nicht der mann E Schmidt zu erwärmen, wie Sie wünschen. Schreiben Sie ihm, ich verspreche Ihnen, wenn er mit mir in Weimar darüber redet, ihm zuzureden; denn ich möchte selbst gerne, dass meine bedenken töricht und unbegründet sind.
Entschuldigen Sie meine offenherzigkeit, wie Sie sie schon so oft entschuldigen mussten. Ich komme mir neben Ihnen wie ein bleigewicht vor. Sie haben stets initiative, ich nie. Und diese verschiedenheit müssen Sie beim beurteilen meiner meinungen mit in betracht ziehen. Gurlitt sagt mit recht: Du bist ein kritiker. Ich habe etwas negierendes an mir, darüber komme ich nun leider nicht hinaus. Ich suchte Ihren inhaltsschweren brief sogleich zu beantworten, nehmen Sie es als zeichen, wie sehr er mich beschäftigt.
In der hoffnung, Sie doch noch in Weimar zu sehen, grüsst herzlich Ihr ergebener
BSfft.

Schönbach, der bedauert, dass Sie mit dem alten verleger schwierigkeiten bekamen, lässt Sie besonders vor der verbindung mit Nagl warnen; er halte diesen in litterarhistorischen dingen für sehr unbewandert; seine zwecke lägen nicht in der sache, sondern in der förderung seiner persönlichen absichten, u. seine person sei unsicher. Wenn ich wüsste, dass Sie Nagl genau kennen, so würde ich schweigen. Sie wissen wol, dass der, vielleicht begründete, verdacht besteht, er habe sich hier nur habilitiert, weil er sich vor einer Wiener habil. fürchtete. Ich bereue diese habilit. nicht, denn ein guter dialektforscher ist er zweifellos. Aber für einen litterarhistoriker halte ich ihn nicht.

Sowohl Seuffert als auch Sauers ehemaliger Grazer Kollege, Anton Emanuel Schönbach, bezweifelten die literaturgeschichtliche Kompetenz Willibald Nagls und rieten von einer Zusammenarbeit mit ihm ab.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 6 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8812. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8812/methods/sdef:TEI/get

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